Es sollte ein schöner Klettertag werden. Der 3. Oktober mit viel Sonne, stahlblauen Himmel, sommerlichen Temperaturen. Seit Tagen ist es wärmer als im Sommer. Endlich draußen klettern. Wir planten einen Familientag mit Slackline, Kastaniensammeln, Kaffee und Kuchen.

Um 11 Uhr waren wir am Fels und richten die erste Route ein. Der Weg der Jugend 5-. Die Haken hängen am Hohenstein durchaus hoch und an mancher Stelle lässt sich nichts absichern. Und so einfach die Route auch ist, die Angst sitzt einem im Nacken. Schon komisch. Auch wenn man deutlich besser klettert ist das immer wieder ein neues Gefühl.
Die Kids sind derweil Kastanien sammeln und tauchen nicht auf, also wechseln wir in das kleingriffige Wändchen 5. Es ist einfach eine nette Route.

Nebenan diskutieren zwei Mädchen und ein Junge, ob sie Toprope oder Vorstieg klettern. Die junge Frau wirft dann am rechten Fensterrahmen das Seil herunter und seilt sich ab. Auch das ist immer nicht ganz so einfach. Wenn ich das dort oder am direkten Überhang mache, habe ich mittlerweile immer eine Hintersicherung angemacht. Die Prusik sichert, sollte ich das Seil aus den Händen verlieren.
Das Mädel steigt über die Klippe und da der Haken direkt unter ihr am Boden angebracht wird, ist der erste Schritt immer schwierig. Und tatsächlich sie knallt an die Wand. Hält aber ihre Seile. Ein paar Schrammen hat es gegeben.

Wir klettern derweil den direkten Überhang 7-/7 und kommen mit den Gruppen um uns ins Gespräch. Die Mädels und der junge Mann klettern dann doch nicht die direkte Speckplatte 5+, sondern nehmen den Ausstieg vorher (Speckplatte 5). Ich beobachte sie eine Zeitlang, das blonde Mädel und ihre Rastlocken Freundin haben viel Spaß und klettern zügig und sind offenbar öfters am Fels oder in der Halle.

Der direkte Überhang im Vorstieg fordert mich wieder mal ganz. Die Sicherungshaken links bekomme ich noch gut, dann muss ich an die zwei Griffe in der Mitte queren und die Kraft ist eigentlich schon weg. Hängen geht nicht. Das Seil zieht nach links. Ich spreize gegen die “Sprungschanze”. Ein felsstück auf der Vorderseite, der an eine Skisprungchance erinnert. Nächster Versuch. Holger gibt zu wenig Seil, ich komme nicht an den Knubbel vor dem Abschlußgriff. Noch mal hängen. Beim dritten Versuch sind beide Hände völlig verkrampft, ich hake sie einfach an die Griffe an der obersten Kante und hoffe, dass die Finger nicht aufgehen. Wuchte mich über die Kante und bin oben. Pumpen, pumpen, liegen und freuen. Die Finger gehen eine Zeitlang gar nicht auf. Dann Seile ich mich ab und versuche nicht den Fehler des Mädels an der Nachbarroute zu machen. Da Holger mich hält und ich nicht selbst abseile, ist das viel einfacher (obwohl ich der Stelle gerne abseile, denn man hängt so schön im Freien und kann die Einsatzkommandos im Krimi schnell abseilen – Ruuuuuuusch)

Holger klettert im Nachstieg. Das macht die Route aber nicht unbedingt leichter. Man hat zwar mehr Ruhe, aber vor dem letzten Griff kommt man immer mit dem von oben kommenden Seil in Konflikt.

Anschließend holen wir noch einen völlig verbogenen Friend aus der Wand. Den zeige ich demnächst. Der Friend steckte völlig aufgespannt in einem Felsband und schon etliche haben offenbar versucht ihn mit Gewalt zu lösen.
Warum ich ihn nicht habe hängenlassen, werde ich gefragt. Man hätte ihn doch gut als Zusatzsicherung im unteren Bereich nehmen können. Ich erzähle von meinem Sturz am Röthel und dass ich fremdes Material, dass nicht sicher ist, jetzt immer rausnehme. Stellt euch vor, da hängt sich einer rein und das Ding fällt plötzlich aus der Wand.
Ne, dann nehmt lieber euren eigenen Friend mit und setzt ihn ordentlich und sichert mit dem. Das ist eine vermeintliche Sicherheit, die böse enden kann.

Wir klettern  noch das linke Fenster und mit ein paar Friends richte ich die (schöne) Route ein. Das ist heute ein Plaisirfestival.
Endlich wollen auch die Kids mal klettern. Aber nach einer Route ist der Spaß schon vorbei. Egal, dann klettern wir noch auf der Vorderseite des Hohensteins die Quarzwandverschneidung 6+.

Wir unterhalten uns mit dem Pärchen, das gerade dort klettert und mit Erstaunen sehe ich zu, wie einfach man die Route gehen kann. Ich habe mich nur an die Quarzwand gehalten und bin das letzte Mal völlig verzweifelt. Jetzt greift der Mann einfach die Zacken rechts beim Darmstädter Weg und schwups ist er oben. Klar, so geht das.

Oben angekommen, gibt es Stress mit einem Kletterer, der verhindert, dass eine Seilschaft sich am Ring direkt abseilt. Aber auch dazu ein anderes Mal mehr. Spielt sich als Sicherungsgott auf, arbeitet aber selbst mit mindestens 10 Jahre alten Exen, und Schlingen. Noch dazu mit selbstgeknoteten Schlingen. Der sollte erst mal bei seiner eigenen Sicherheit anfangen, was ich mir erlaubte ihm auch zu sagen. Mir ging es ja schon einige Male, dass meine alte, ursprünglich gelernte (und damals als richtige) Methode mittlerweile überholt und als falsch eingestuft wurde. Und andere Dinge, die früher verpönt waren, heute als der bessere Weg gelehrt werden. Man muss sich in diesem Sport ständig hinterfragen und bereit sein Neues zu akzeptieren. Nun dieser Zeitgenosse diskutierte fleißig und ich stand gute 10 Minuten herum, bis ich endlich mal in eine Sicherung reinkam. IDIOT!

Endlich abgeseilt, Holger hängt in der Wand, kommt Nadja und ruft, eine Frau sei auf der Rückseite abgestürzt. Ich verständige den Notruf, lasse Holger ab und eile zur Unfallstelle, um Erste-Hilfe anzubieten. Gut, dass ich im Betrieb regelmäßig Schulungen besuchen muss.

Es ist die junge Frau vom Morgen. Sie ist ansprechbar. Ihre Freundin und ein Zuschauer kümmern sich schon um sie. Ich bemühe mich ruhig mit ihr zu reden und rate davon ab sich zu bewegen. Sie war auf den Steiß und den seitlichen Rücken gefallen. Während wir noch reden, hören wir schon die Sirenen. Das gibt ihr wieder Auftrieb und sie wirkt sofort ruhiger. Sie erzählt vom Sturz. Sagt, dass sie zu ihrer ersten Sicherung, die die erste Vorsteigerin gesetzt hatte, kletterte und beim weiterklettern fiel und die Sicherung nicht hielt.

Dann waren auch die Feuerwehr und die Bergwacht da und ich konnte mich guten Gewissens zurückziehen. Jetzt übernahmen die Profis.
Aus mir unerfindlichen Gründen ließ mich der Feuerwehrmann aber nicht gehen; obwohl ich den eigentlichen Unfall ja gar nicht gesehen hatte. Vielleicht lag es daran, dass plötzlich alle Kletterer begannen einzupacken und zu gehen. Der Mann hatte vielleicht das Gefühl, am Ende niemanden mehr da zu haben, der den Vorfall aufklären konnte.
So musste ich warten, bis die Polizei kam und konnte mich mit den Augenzeugen und der Sichernden unterhalten und anschließend noch für die Polizei die Karabiner aus der Wand holen.

Aus dem was gesagt wurde und dem was ich sah und vorfand, ereignete sich der Vorfall so:
Die jungen Frauen kletterten die Route „Weg der Kindheit 4-„
Die Route muss selbst abgesichert werden oder Toprope eingehängt werden. Die erste Vorsteigerin legte in ca. 5 Meter Höhe einen Friend in einen der quer von rechts oben nach links unten verlaufenden Risse. Die zweite Sicherung war ein sehr großer Hexentrics auf ca. 7 Meter, ein weiterer (gigantischer) lag auf  9 Meter und ein weiterer Friend über dem eigentlichen obersten Haken des „Weg der Jugend“ Offenbar wollten die Mädels das Selbstsichern üben, sonst hätten sie den Haken nehmen können.
Die beiden Hexentrics waren übrigens vorbildlich gelegt! Der obere Friend sah auch gut aus.
Einzig die Spalte in dem der untere Friend lag, war nicht optimal. Die Spalte ist nicht sehr tief und erweitert sich an der Stelle nach außen. Dann kam Pech dazu.

Nach Angaben des Augenzeuge fiel das Mädel zweimal in den Friend (oder setzte sich rein) beim dritten Mal kletterte sie eher nach rechts (in Rissrichtung!) als sie viel. Vielleicht hat die Richtung des Sturzes das Herausziehen begünstigt.

Den Friend hatte ich dann noch in der Hand. War glaube ich ein Wild Country in der Größe (geschätzt anhand meiner eigenen Camalots) 0,5. Die Backen sahen gut aus. Öfters benutzt, aber funktionstüchtig, als ich ihn bewegte. Ein Materialfehler war es eher nicht.

Die junge Frau wurde nach einiger Zeit zur Sicherheit in ein Vakuumbett gepackt und mit dem Hubschrauber abtransportiert. Wir alle hoffen, dass es ihr gut geht und sie keine bleibenden Schäden davonträgt.

Auf alle Fälle wurde uns wieder klar, wie dünn der Grat ist, auf dem wir wandeln!

Nachtrag: Die junge Frau kam mit einem Beckenbruch davon.

 

 

Eine Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert