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Klammernschnitzerbrunnenfest mitten in Egelsbach
Jeder Mensch hat seinen Lieblingsplatz, an dem er sich gerne mit seinen Freunden trifft. Unsere Vorfahren hatten sich in ihren Dörfern unter der Linde, meist in der Nähe der Kirche, einen solchen Platz geschaffen. Es ist noch nicht ein halbes Jahrhundert her, da hatte der Ortskern in Egelsbach rund um die Kirche zumindest noch einmal im Jahr diese zentrale Funktion, nämlich dann, wenn auf dem Platz und in den angrenzenden Straßen die Buden und Karussells im September die Menschen zur Kerb ins Freie lockten. Die Fest- und Kerbplätze wurden bald wegen “modernerer” Ansprüche an den Rand der Dörfer gelegt, und genau so verschob sich auch der Stellenwert der Dorffeste im Bewußtsein der Menschen an den Rand.
In den sechziger Jahren schienen alle Stadtplaner landauf landab von Visionen autogerechter weiträumiger Innenstädte heimgesucht, die “Abreißeritis”, der auch beinahe unsere Kirche zum Opfer fallen sollte, war die Folge; etliche historische Gebäude im Ortskern, darunter das erste Schulhaus, wurden aber davon betroffen. Einsam und heruntergekommen stand das mittlerweile unter Denkmalschutz stehende Arresthaus inmitten eines trostlosen Platzes. Die Gemeinde sah sich wohl oder übel gezwungen, nach etlichen Jahren den Platz zu gestalten und Bäume zu pflanzen. Sofort wurde dies von der Bevölkerung honoriert, Platzkonzerte, Jazzfrühschoppen und ähnliches konnten jetzt mitten im Ort stattfinden.
“Auf einen Dorfplatz gehört ein Dorfbrunnen”, das sagte sich der ehemalige Bürgermeister Wilhelm Thomin. Er rief anläßlich seines Geburtstagsempfangs zu einer Spendenaktion auf, die als Ziel die Errichtung eines solchen symbolischen Ortsmittelpunktes haben sollte, dieser Ortsmittelpunkt sollte aber auch einen Bezug herstellen zum Schnitzen von Wäscheklammern. Dies war bis ins erste Viertel des 20. Jahrhunderts ein kärglicher Nebenerwerb einiger Familien, in den Nachbargemeinden allerdings war es Anlass zu “wohlwollend”-herablassend gemeinten Sticheleien.
Die Idee für das Klammernschnitzerbrunnenfest brachte eine Delegation des Trägerkreises “Kirchplatzgestaltung” von einem Besuch bei Franz Leschinger, dem Schöpfer des Brunnens, aus der Pfalz mit, wo man zufällig in die Vorbereitungen eines Dorfbrunnenfestes hinein geriet. Dort teilten sich alle Ortsvereine die Arbeit, so daß auch kleinere Gruppen die Möglichkeit bekamen, ein Jubiläum oder einen anderen Anlaß in einem größeren Rahmen zu feiern. Dieses Modell ist auch in Egelsbach auf gute Resonanz gestoßen, und so haben nach der Brunneneinweihung im Jahre 1990 die verschiedensten Vereinigungen unter der Mithilfe aller Anderen ihr großes Fest feiern können. In jedem Jahr beteiligen sich somit Egelsbacher Einwohner aus allen nur denkbaren Vereinen, Vereinigungen, Parteien, Korporationen und sonstigen Verbänden an der Ausrichtung und Gestaltung dieses Festes, und damit ist es “ihr” Fest geworden, ein wertvoller Schatz wurde ins Dorf zurückgeholt. Egelsbach führt das Herz in ihrem Wappen, im Herzen ihres Dorfes feiern die Egelsbacher ihr Fest und mit ganzem Herzen sind sie dabei.
Die Jahreszahl 2000 übt ja bekanntlich eine besondere Faszination aus, aber in keinem Ortsverein ist in diesem Jahr ein “feiernswertes” Jubiläum zu verzeichnen. Mehr aus spontanen Launen heraus wurde öfters in den Kirchengemeinden halb im Spaß, halb im Ernst, mit dem Gedanken der Ausrichtung des “Klammernschnitzerbrunnenfestes 2000” gespielt. Irgend etwas von Faszination ist ja schon dran an der Jahreszahl 2000 und dem Klammernschnitzerbrunnenfest, hat Wirkung gezeigt. Eigentlich kann es nur so sein: die beiden großen Kirchengemeinden richten das diesjährige Fest aus. Rechnen Sie einmal genau nach, sie gehören schließlich zum ältesten “Verein” am Ort, dessen Gründer vor 2000 Jahren geboren wurde.
Nicht ohne Grund steht als Leitmotiv über dem gesamten Fest ein Zitat aus dem Alten Testament: “Gestern, Heute und in Ewigkeit”. Symbolcharakter soll auch dem “logo” des “Klammerschnitzerbrunnenfestes 2000” nachgesagt werden: die beiden Türme als Zeichen für die beiden Kirchengemeinden, die im "Klammerndorf” Egelsbach bei durchaus unterschiedlicher Art und Weise mit gleicher Wurzel das selbe Ziel vor Augen haben.
Vielleicht ist aber auch folgende Interpretation erlaubt: eine Klammer hat den Zweck zusammenzu-halten; das geht nur miteinander, ein einzelnes Teil der Klammer kann das nicht, es ist dann sinn- und zwecklos, die Kraft liegt nur in der gemeinsamen Wurzel, und die heíßt Jesus Christus.
Gerhard Recktenwald
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